Seit über 30 Jahren untersuche ich die Relativität der visuellen Wahrnehmung malerisch anhand von Farbphänomenen/Farberscheinungen.
Jede Wahrnehmung ist naturgemäß in hohem Maße begrenzt und damit relativ - wie kann dann aber irgendeine da heraus geronnene Welt-an-'schauung' je objektiv oder gar 'wahr' sein?
Jeder 'Welt-Anschauung' liegt ja die 'Anschauung' zu Grunde - die Wahrnehmung, die durch die Sinne begrenzte und durch gelernte Konzepte, Normen und Denkfolien geformte und gefilterte und damit höchst subjektive Wahrnehmung der 'Welt'.
An diese altbekannte Tatsache 'erinnern' meine Arbeiten durch unmittelbare sinnliche Erfahrung.
Die Irritation der Wahrnehmung mit dem Ziel, die Selbstgewißheit des: 'Ich weiß doch, was ich sehe!' zu erschüttern, ist eine wesentliche Motivation meiner Arbeit.
Medium dieser Irritation ist reine FARBE - Farbe als essenziell wirksames Phänomen.
Farbe insbesondere als Phänomen der Durchdringung von Licht und substantieller Materie.
Farberscheinungen in ihrer Flüchtigkeit, Wandelbarkeit und Vergänglichkeit.
Farbphänomene im Spannungsfeld zwischen materieller Substanz und immaterieller Wirksamkeit.
Farbwahrnehmung in ihrer Abhängigkeit vom Licht und von der umgebenden Farbigkeit.
Ich arbeite inzwischen fast ausschließlich in Aquarellfarbe, da dieses Malmaterial die geringste Dichte und höchste Transparenz aufweist, was der Lichtbedingtheit und Subtilität von farbigen Phänomenen entspricht.
Und ich arbeite fast ausschließlich auf Papier, da es in seiner Verletzlichkeit dem essenziell Ephemeren des Phänomens „Farbe“ entspricht.
Die Arbeiten entstehen in einer meditativen und aufwendigen Lasurtechnik, die zugleich eine hohe Transparenz und intensive Leuchtkraft der Farben ermöglicht.
Durch die vielschichtige Malweise intensivieren sich die Farben und es entstehen subtile Farbverläufe ineinander und ins Weiß des Malgrundes - so entsteht 'Unschärfe' wodurch die Augen der/des Betrachtenden die Möglichkeit der Fokussierung verlieren.
Die gemalten Farberscheinungen scheinen sich zu bewegen und zu vibrieren, Farben 'verschwinden' im Auge der/des Betrachtenden und neue 'erscheinen' - es bleibt visuell unverifizierbar, ob diese Farben tatsächlich gemalt, also physisch 'da' sind oder nur erscheinen, ob sich die Augen (und das Gehirn) an diese diffusen Reize gewöhnt haben und dadurch immer mehr 'wahrnehmen' oder aber hinzu 'erfinden'.
Was sehe ich 'tatsächlich' und was konstruiert mein Wahrnehmungsapparat/mein Gehirn?
Lässt sich der/die Betrachtende auf diese unmittelbare sinnliche Erfahrung ein, dann erzeugt dieses Erleben i.d.R. eine innere Reaktion der Verwunderung und Verunsicherung.
Insbesondere bei jenen meiner Arbeiten, die sich in ihrer Reduziertheit an der Grenze der visuellen Wahrnehmbarkeit befinden, geschieht dies in intensiver Weise.
Die meisten Arbeiten bestehen inzwischen aus farbigen Fragmenten, die im Weiß des Bildraumes erscheinen und vergehen - das entstandene Werk ist so nicht mehr ein in sich geschlossenes, definiertes „Bild“, sondern ein willkürlicher Ausschnitte aus einem größeren - nicht fassbaren und nicht definierbaren - relativen Ganzen.
Hannah A. Hovermann